Hürth/Berlin, Mai 2020 – Sobald werdende Eltern den positiven Schwangerschaftstest in der Hand halten, beschäftigt sie die Frage, ob ihr Baby gesund zur Welt kommt. Um das Risiko für Fehlbildungen einzuschätzen, kann unter anderem ein Bluttest auf kindliche Chromosomenanomalien, etwa eine Trisomie 21 (Down-Syndrom), durchgeführt werden. Dieser „nicht-invasive pränatale Test“ (NIPT) wird zukünftig für Schwangere mit bestimmten Risiken zur Kassenleistung. Doch worüber gibt er Auskunft und wo liegen seine Grenzen? Wo gibt es in schwierigen Situationen Unterstützung? Antworten soll die Versicherteninformation des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) geben, die gerade im Stellungnahmeverfahren ist. Der Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner e.V. (BVNP) sieht darin gravierende wissenschaftlich-fachliche und inhaltliche Mängel. Auch psychosoziale und ethische Aspekte seien nicht ausreichend berücksichtigt. Der BVNP unterstützt deshalb in einer gemeinsamen Stellungnahme des „Runden Tisches zur Patienteninformation des IQWiG Vorberichts P17-01“ mit anderen medizinischen Fachverbänden und weiteren sozialen Organisationen eine grundlegende Überarbeitung der Versicherteninformation.
Was ist der NIPT Test?
Bei dem NIPT-Bluttest wird kindliche DNA aus mütterlichen Zellen untersucht. Diese Untersuchung ermöglicht ein zielgerichtetes Screening beim Ungeborenen im Mutterleib auf Chromosomenstörungen wie die Trisomien 21 (Down-Syndrom), 13 (Pätau-Syndrom) und 18 (Edwards-Syndrom). Im Gegensatz zu den invasiven Verfahren handelt es sich bei dem NIPT-Test allerdings um ein Suchverfahren (Test) und nicht, wie bei der Fruchtwasseruntersuchung, um ein beweisendes Diagnoseverfahren. Eine diagnostische Punktion der Gebärmutter – wie sie etwa bei einer Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese, AC) oder Plazentaprobe (Chorionzottenbiopsie, CVS) durchgeführt wird – ist bei auffälligem Bluttestest zum Beweis nach Ansicht des BVNP unerlässlich.
Kritik am Verfahren
„Jeder NIPT-Bluttest hat eine gewisse Fehlerrate. Je jünger die Schwangere ist, desto eher kann er falsch positiv sein. Auch ist seine Leistungskraft keineswegs so groß ist wie bei der Nackentransparenzmessung, wenn sie in Verbindung mit früher Ultraschallfeindiagnostik zur Überprüfung der fetalen Organentwicklung durchgeführt wird“, betont Professor Dr. med. Alexander Scharf, Präsident des BVNP. „In der Versicherteninformation wird die Aussagekraft beider Verfahren jedoch fälschlicherweise gleichgestellt.“ Zudem fehlt aus Sicht des BVNP der Hinweis darauf, dass der Bluttest derzeit in Kombination mit einer Nackentransparenzdiagnostik und früher Ultraschallfeindiagnostik nur von spezialisierten Ärzten standardmäßig durchgeführt werde.
Scharf kritisiert weiter: „Auf die Bedeutung einer hochwertigen, fachärztlichen pränataldiagnostischen Betreuung wird in der Broschüre nicht eingegangen. So wird beispielsweise die Frage, in welchen Fällen der NIPT-Test vor allem zum Einsatz kommen sollte, nicht ausreichend beantwortet.“ Zudem werde zu wenig deutlich, dass ein unauffälliges Testergebnis keineswegs die Geburt eines Kindes ohne Behinderung bedeute. Neben dem BVNP stehen zahlreiche weitere Teilnehmer und Vertreter von kirchlichen Institutionen, Sozialverbänden und Träger von psychosozialen Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Selbstvertretungsgruppen sowie themenbezogenen Gruppen hinter diesen Kritikpunkten und erwähnen sie in der gemeinsamen Stellungnahme.
Psychosoziale Aspekte
Neben der wissenschaftlich-fachlichen Ebene beurteilen sie auch psychosoziale-Aspekte kritisch: „Die Versicherteninformation macht zu wenig deutlich, in welcher Weise eine psychosoziale Beratung für Paare hilfreich sein kann“, betont der Präsident des BVNP. „Dabei ist sie eine entscheidende Ergänzung der ärztlichen, pränataldiagnostischen Beratung – sowohl bei der Frage danach, ob ein NIPT-Bluttest oder ein anderes Verfahren durchgeführt werden sollte als auch nach einem auffälligen Befund.“ Zudem fehlten konkrete Hinweise auf Beratungsstellen für Familien in der Broschüre.
Auch die Rechtslage wird nach Ansicht der medizinischen Verbände und Organisationen in der Versicherteninformation unzureichend dargestellt. „Die Information zum Rechtsanspruch auf Beratung bei pränataldiagnostischen Fragen fehlt gänzlich“, bemängelt Scharf. „Zudem ist nicht erwähnt, dass Ärzte nach der gültigen Rechtslage die Pflicht haben, Hinweise auf entsprechende Beratungsstellen zu geben beziehungsweise werdende Eltern in schwierigen Situationen dorthin zu vermitteln.“
Zudem üben die Herausgeber der Stellungnahme auch Kritik auf ethischer Ebene: „Die Broschüre wirft einen defizitorientierten Blick auf das Leben von Menschen mit Fehlbildungen wie der Trisomie 21“, so Scharf. „Dadurch können jedoch Ängste vor einem Kind mit Behinderung geschürt werden.“ Angesichts der vielfältigen Kritikpunkte hält er eine umfassende Überarbeitung der Versicherteninformation für dringend notwendig. Daran sollten unbedingt auch Mütter und Familien mit einem Kind mit Trisomie 13, 18 oder 21, Selbsthilfegruppen und Menschen mit Down Syndrom wie Frauen oder Paare, die eine Geburt mit palliativer Begleitung oder einen Spätabbruch erlebt haben, beteiligt werden.
Hintergrund: Die Einführung von NIPT als Kassenleistung
Die nicht-invasiven pränatalen Bluttests (NIPT) stehen Schwangeren im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen bereits seit 2012 als individuelle Gesundheitsleistung (IGel) zur Verfügung. Durch die Entscheidung des G-BA werden diese zukünftig für Schwangere mit entsprechendem Risikoprofil als Kassenleistung – und somit kostenlos – angeboten. Die NIPT-Änderung der Mutterschaftsrichtlinien ist bereits von Seiten des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gebilligt worden. Ende 2020 soll der Beschluss zur NIPT-Versicherteninformation gefasst werden, danach wird auch dieser vom BMG überprüft.